Wer trägt die Verantwortung ?

Niemand oder alle es bizeli …. so funktioniert’s eben nicht. Es braucht Führung im System.
Deshalb brauchts Ihre Unterschrift unter die Versorgungsinitiative !
Bogen herunterladen kann man hier : www.versorgungsinitiative.ch

Was mich noch mehr umtreibt als die Lieferengpässe sind jene Produkte, die wir ganz verlieren. Ich schreibe nicht von 08/15 Produkten, sondern von solchen, die einen wichtigen Stellenwert haben.
Diese Spirale dreht sich aktuell immer schneller. Es werden bei den Firmen Businessentscheide getroffen. Die therapeutische Wichtigkeit des Produktes spielt dabei leider oft keine Rolle.

Anhand einiger Beispiele will ich die Situation erläutern:

Beispiel 1: Heparin Fertigspritzen

Bis Ende letzten Jahres waren in der Schweiz Fertigspritzen mit so genanntem unfraktioniertem Heparin auf dem Markt. Sowohl die Fertigspritzen mit Heparin-Natrium (Liquemin) als auch jene mit Heparin-Calcium (Calicparin) sind vom Schweizer Markt verschwunden.
https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Heparin-Calcium

Heparin-Fertigspritzen werden zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Ereignisse in der Abdominal- und orthopädischen Chirurgie, zur Gerinnungsprophylaxe im extrakorporalen Kreislauf bei der Hämodialyse, bei instabiler Angina pectoris und Nicht-Q-WellenHerzinfarkt in Kombination mit Aspirin sowie zur Behandlung der tiefen Venenthrombose eingesetzt. 
Natürlich gibt es auch fraktioniertes Heparin, mit dem diese Prophylaxe in den meisten Fällen noch verbessert werden kann. Und es gibt auch Tabletten mit sogenannten NOAK’s, mit denen das auch gelingen kann. Deshalb ist der Kreis der Menschen, die mit unfraktioniertem Heparin behandelt werden müssen, in den letzten Jahren immer kleiner geworden.

Das heisst aber nicht, dass unfraktioniertes Heparin obsolet geworden ist, denn die neueren Präparate haben einen Schönheitsfehler:
Für Patientinnen und Patienten mit sehr schlecht funktionierenden Nieren sind diese neueren Präparate nicht geeignet.  Entweder haben sie dafür keine Zulassung oder sie sind kontraindiziert.

Stellen Sie sich folgende Situation vor:
Ein Patient mit einer schlechten Nierenfunktion wird für eine größere orthopädische Operation ins Krankenhaus eingeliefert. Nach den Regeln der Kunst ist eine Thromboseprophylaxe mit 5000 Einheiten zweimal täglich subkutan für 6 Wochen nach der Operation erforderlich. Bisher wurde dies einfach mit Liquemin oder Calciparin Fertigspritzen mit je 5000 Einheiten zu 0,25 bzw. 0,2 ml durchgeführt.

Diese Präparate sind in der Schweiz nicht mehr erhältlich.

Was ist nun zu tun?
Heparin ist weiterhin in der Form 25’000 Einheiten / 5 ml zugelassen.  Nur diese Form wird von den Krankenkassen bezahlt.
Stellen Sie sich nun eine ältere Person vor, die nun selbstständig handeln soll. Das heißt, 2 mal täglich 1 ml aus einer Flasche steril aufziehen und dann subkutan spritzen. 1 ml subcutan ist an sich schon eine Zumutung. Es sind auch keine Durchstechflaschen mehr wie früher, sondern Glasampullen. Das bedeutet, dass eine Weiterverwendung über 24 Stunden hinaus kaum möglich ist. Die Infektionsgefahr steigt.

Super: Aus Sicht der Krankenkassen ist alles ok, wenn die Patienten das selbst können.
Wird auch so bezahlt. Täglich 7.80, davon 4.70 im Eimer entsorgt.  Mit erheblichem Risiko der Fehldosierung, mit entweder erhöhtem Blutungsrisiko oder fehlender Prophylaxe mit nachfolgender Thrombose.

Es gibt intelligentere Ansätze, aber dafür ist unser System nicht geeignet ….
In Frankreich und Italien sind Calciparin-Fertigspritzen noch erhältlich. In Deutschland sind Heparin-Natrium Fertigspritzen zugelassen.

So weit, so gut?

Die Konsequenz ist, dass die Leistungserbringer die Produkthaftung übernehmen und die Pharmakovigilanz international sicherstellen müssen (z.B. bei Chargenrückrufen im Ausland). Jeder einzelne Leistungserbringer muss die Spritzen selber importieren. Ein zentraler Import ist nicht möglich (Handel mit Produkten, die in der Schweiz nicht zugelassen sind).

Und schliesslich müssten die Spritzen auch noch bezahlt werden.
Da diese in der Schweiz eben nicht zugelassen sind, besteht grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkassen.
In der Folge braucht es eine Kostengutsprache der Krankenkasse.

Man könnte zwar argumentieren, dass es sich um eine «Versorgungslücke» handelt und die Kosten aufgrund eines Rundschreibens des BAG vom Januar 2023 an sich übernommen werden müssten. Dies führt jedoch oft zu einer intensiven Korrespondenz mit der jeweiligen Krankenkasse mit verschiedenen involvierten Stellen (Spital, Hausarzt, Apotheke etc.), um diesen Umstand darzulegen. Einfacher ist es, dies über eine Kostengutsprache zu regeln. Diese gibt es aber nicht einfach so, sondern nur mit einer ausführlichen Begründung und dem Risiko einer Ablehnung. Und schliesslich darf der Patient das Spital erst verlassen, wenn die Kostengutsprache vorliegt.

Wer ist nun dafür verantwortlich, dass wir in der Schweiz solche Spritzen auf dem Markt haben? natürlich in erster Linie die Industrie. Aber die will nicht, aus welchen Gründen auch immer.  Und nun?

«Wir» kapitulieren und lassen es geschehen. Oder wir haben einen konkreten Massnahmenplan, was wir in solchen Situationen tun.

Dazu müssten «wir» erst einmal feststellen, dass diese Darreichungsform wichtig und unverzichtbar ist. Und wer stellt das fest? Und was machen wir dann damit?

Heparin ist eine Substanz, die auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung steht. Okay, gut. Aber eben, wenn es in der Schweiz keine Zulassungsinhaberin für diese spezielle Anwendungsform gibt, dann kann das BWL auch nichts machen. Es gibt niemanden, den sie zwingen könnten, Pflichtlager anzulegen, und auch niemanden, der allenfalls eine Busse bezahlen müsste, wenn das Medikament nicht verfügbar wäre.

Dann kapituliert man halt («jä nu, isch halt eso») und überlässt es dem «Markt» bzw. schiebt den Ball den Leistungserbringern zu. Die sollen sich darum kümmern.

Oder wir packen das Problem an der Wurzel und schaffen die schwere Niereninsuffizienz ab. Oder wir lassen diese Patientinnen und Patienten ohne Operation.🙃

Wollen wir ein solches System oder gibt es bessere Ansätze und wer definiert diese?

Man könnte solche Fertigspritzen auch öffentlich ausschreiben. Aber wer macht das eigentlich? Gehen die gut finanzierten Krankenhäuser dieses Risiko ein?

Oder ist es eine Frage der öffentlichen Gesundheit, wenn sich niemand findet?

Beispiel 2: Suxamethonium (Succinylcholin)

Suxamethonium steht auf der Liste der lebenswichtigen Arzneimittel des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung. Das heisst, es fällt unter die dort festgelegte Definition von «lebensnotwendig».

Das ist gut so.

Nur: Suxamethonium wurde in den letzten Jahren immer weniger benötigt. Deshalb gibt es weltweit nur noch wenige Anbieter von Ampullen. Verwendet wird es aber immer noch.

Wegen des sehr schnellen Wirkungseintritts und der kurzen Wirkungsdauer wird es vor allem bei Notfallnarkosen zur Blitzeinleitung verwendet. Siehe hier: https://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Suxamethoniumchlorid

Dem Schweizer Hersteller der fertigen Ampullen wurde nun die Zulassung zur Produktion sistiert. Die Ampullen sind in der Schweiz nicht mehr erhältlich. Die früher produzierten Ampullen sind ausverkauft. Eine Produktion findet derzeit nicht statt.

Das BWL kann nichts (mehr) unternehmen, da es keinen Zulassungsinhaber in der Schweiz gibt.  Deshalb wird auf der Liste des BWL auch kein Lieferengpass gemeldet.

Auch hier: Das Medikament ist unentbehrlich. Jedes Spital muss das Medikament nun selber importieren. Dies kann zwar über spezialisierte Firmen wie Farmamondo oder Tecrapharm organisiert werden.
Dennoch: Die primäre Produkthaftung liegt beim Krankenhaus bzw. beim Anwender. Die genannten Firmen dürfen die Produkte nicht in der Schweiz lagern, da sie keine Zulassung haben. Sie müssen sie über eine ausländische «Filiale» ausweichen oder ein Zollfreilager zur Verfügung haben. Oder jedes Spital importiert selber.

Die Listung beim BWL wird zur reinen Farce und das schweizerische Zulassungssystem ad absurdum geführt.

Die Kassenpflicht ist hier nicht das Problem, da die Ampullen entweder stationär über Fallpauschalen finanziert werden oder dann Teil des Behandlungskomplexes sind. Es handelt sich um Einmalanwendungen, so dass die Kosten an sich nicht das Problem sind.

Und jetzt?

Auch hier: Wir kapitulieren vor dem System und überlassen die Organisation den Leistungserbringern.

Dann machen wir eben keine Notoperationen mehr ….. und es ist ja auch gut wenn wir das Medi nicht mehr verfügbar haben, denn es wurde auch schon für Giftmorde verwendet… 🙃

Und was genau würden jetzt Konventionalstrafen und Pflichtlager bringen?

Und wer hat jetzt den Lead, dieses anerkannt wichtige Medikament in der Schweiz so verfügbar zu machen, dass die Haftungsfragen klar geregelt sind?
Wer schaut, dass die Zulassung übertragen wird an jemanden, der das herstellen will ? Oder nehmen wir hin, dass wir nach Abregistrierung bis zu drei Jahre warten, bis jemand die ganze Tour durch die Zulassung gemacht hat (so dann jemand gefunden wird … durch wen auch immer)

Weitere Beispiele folgen ….